Barockmusik italienischer Komponisten
Agostino Steffani (1654 – 1728): Suite aus der Oper „Orlando generoso“ (1691)
Entrée. Alternativement avec le Trio suivant
Ouverture – Prelude tres viste – Gavotte – Passepied viste – Chaconne –
Rondeau gay – Bourrée – Menuet – Gigue
Antonio Vivaldi (1678 – 1741): Concerto d-moll für Violoncello, Streicher und Basso continuo RV 407
Allegro – Largo e sempre piano – Allegro
Heinrich Rühe, Violoncello
Alessandro Stradella (1639 – 1682): Sonata di Viole D-Dur
Adagio. Allegro – [Aria] – [Adagio. Allegro] – [Allegro]
Christel Vockelmann, Georg M. Kleemann, Violine
Heinrich Rühe, Violoncello
Giuseppe Sammartini (1695 – 1750): Concerto Es-Dur für Oboe, Streicher und Basso continuo
Largo – Allegro – Andante – Allegro
Brigitte Heeke, Oboe
Nach langem Aufenthalt nördlich der Alpen kehren wir amici musici wieder in das Land zurück, wo nicht nur die Zitronen blühen, sondern wo gewissermaßen auch das musikalische Barock geboren wurde, nämlich mit der „Erfindung“ der Oper um 1600 durch Jacopo Peri, Claudio Monteverdi und anderen (die dabei irrtümlich der Meinung waren, auf diese Weise das antike Drama zu rekonstruieren…). Von Italien aus trat dann die Oper ihren Siegeszug durch ganz Europa an und etablierte sich als die Form des barocken Gesamtkunstwerks par excellence.
Einen wesentlichen Beitrag zur dieser Erfolgsgeschichte leistete auch der heute eher unbekannte Agostino Steffani: Seine Opern waren die ersten, die den Sprung von der höfischen Bühne in kommerzielle Opernhäuser schafften. Nun übersteigt zwar die Aufführung ganzer Opern die Kapazitäten der amici musici, doch können wir uns eines schon damals beliebten Tricks bedienen: Man nehme einfach einige der zahlreichen instrumentalen Stücke einer Oper (zumeist handelt es sich dabei um Musik zu einer Ballettszene) und schon hat man eine passable Suite! Die vorliegende stammt aus einer Oper über den mittelalterlichen Rolandsstoff; und wenn man genau hinhört, merkt man, dass der Tonfall der Musik weniger italienisch als spürbar französisch ist. Sicher hat das nicht zuletzt damit zu tun, dass der gebürtige Venezianer Steffani zeit seines Lebens ein derart weitgereister und vielbeschäftigter Mann war, dass es bereits erstaunlich ist, dass er überhaupt noch zum Komponieren kam: Neben Tätigkeiten etwa als Kapellmeister am kurfürstlichen Hof zu Hannover, reiste er unter anderem als Geheimdiplomat in höfischen Heiratsangelegenheiten umher, wurde später zum Bischof geweiht und war als Apostolischer Vikar für die (offenkundig vergebliche) Rekatholisierung Norddeutschlands zuständig…
Für einen durch und durch italienischen Tonfall sorgt jedenfalls eine der großen Berühmtheiten der Barockmusik überhaupt: Antonio Vivaldi, der übrigens wie Steffani nicht nur Venezianer, sondern auch Kleriker war, es aber darin – trotz des geläufigen Spitznamens „il pretre rosso“, also „der rot(haarig)e Priester“ – nur bis zu den niederen Weihen geschafft hat. Durch sein umfangreiches (und gegen allen bösen Leumund überaus abwechslungsreiches) OEuvre hat er maßgeblich zur Entwicklung des Solokonzertes beigetragen. Das gilt vor allem für sein eigenes Instrument, die Geige, aber in beträchtlicher Anzahl auch für das bis dahin eher stiefmütterlich behandelte Violoncello. Das von uns gespielte Concerto in d-moll setzt dabei weniger auf eingängige „Ohrwurmmelodien“ als auf atmosphärische Klangwirkung.
Eine ganze Generation vor Vivaldi war Alessandro Stradella (sogar noch vor Arcangelo Corelli) daran beteiligt, dem Prinzip des Concerto grosso zum Durchbruch zu verhelfen, also dem „Wettstreit“ zwischen einer Solistengruppe und dem Orchester-tutti – wie man es unschwer auch in der hier gespielten Sonata erkennt. Doch nicht nur musikalisch ist Stradella bemerkenswert, sondern auch wegen seiner abenteuerli-chen Biographie: Nachdem er sich in Rom einen Namen als eine Art freischaffender Künstler gemacht hatte, der unter anderem von der ehemaligen Königin Christina von Schweden protegiert wurde, musste er die Stadt im Zuge einer missglückten Heiratsvermittlungsaffäre fluchtartig verlassen. Unterschlupf fand er in Venedig – nur um von dort sogleich mit einer jungen Dame durchzubrennen, der Geliebten eines einflussreichen Venezianers, die dieser ihm als Musikschülerin anvertraut hatte! Das Paar floh, von Häschern verfolgt, nach Turin ins damalige Königreich Savoyen, wo es nach einem nur knapp missglückten Mordanschlag auf den Komponisten so-gar zu diplomatischen Verwicklungen auf höchster Ebene kam (die Attentäter waren in die französische Botschaft geflüchtet). Schließlich verschlug es Stradella noch nach Genua, wo er dann, erst dreiundvierzigjährig, einem erneuten Mordanschlag zum Opfer fiel, dessen genauere Umstände bis heute im Dunkeln liegen…
Giuseppe Sammartini steht von der musikalischen Bedeutung her ein wenig im Schatten seines jüngeren Bruders Giovanni Battista, der mit seinen Kompositionen bereits die Schwelle des Barock zu späteren Entwicklungen hin überschreitet. Die entsprechenden Merkmale des „galanten Stils“ lassen sich aber genauso bei dem älteren der beiden Brüder finden, so auch in dem Concerto in Es-Dur für Oboe. Giuseppe Sammartini war selbst ein bedeutender Oboist, der von anderen berühmten Zeitgenossen, etwa Johann Joachim Quantz und Georg Friedrich Händel, überaus geschätzt wurde. Manche Oboensoli in den Werken des Letztgenannten dürften übrigens eigens für Sammartini geschrieben sein, denn dieser verbrachte nach langer Tätigkeit im heimatlichen Mailand seine beiden letzten Lebensjahrzehnte in London, wo Händel sein Geld bekanntlich (und so schließt sich der Kreis) mit der Komposition und Produktion von italienischen Opern machte, bevor er dann das englische Oratorium „erfand“ – aber das ist eine andere Geschichte… gmk